Christoph Ingenhoven zählt zu den international führenden Architekten, die sich für nachhaltige Architektur einsetzen. Der ökologisch und ökonomisch verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen steht im Mittelpunkt seiner vielfach preisgekrönten und zertifizierten Entwürfe.
Am 9. September wurde er dafür mit dem ältesten Umweltschutzpreis in Deutschland, der „Goldenen Blume von Rheydt“ ausgezeichnet. Wir haben den Preisträger, der bei seinem Aufenthalt in Mönchengladbach auch den umgebauten Geropark besichtigt hat, interviewt.
"Die Bedeutung von Städten darf nie unterschätzt werden."
Herr Ingenhoven, erst einmal herzlichen Glückwunsch zur „Goldenen Blume“; Sie setzen die Liste der 28 Preisträger von Graf Lennart Bernadotte af Wisborg über Heinz Sielmann, Thor Heyerdahl, Loki Schmidt, Reinhold Ewald und Peter Maffay, die seit 1967 den Umweltschutzpreis erhielten, fort. Wie war Ihre erste Reaktion auf die Nachricht, dass Sie den Preis erhalten sollen?
Die Jury hat eine breite Perspektive und beweist ein tiefes Interesse für die komplexen Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Die Interdisziplinarität der Preisträgerinnen und Preisträger ist eine bemerkenswerte Qualität der Goldenen Blume von Rheydt – dass ich mich in die Reihe von herausragenden Persönlichkeiten einordnen darf, ist eine ganz besondere Würdigung meiner Arbeit.
Sie sind Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen und haben Ihrer Art des nachhaltigen Bauens schon früh das Label „supergreen“ gegeben. Wofür steht dieser Begriff?
Ich habe den Anspruch, eine ökologische, nachhaltige Architektur zu entwickeln, die über die gängigen Standards und Zertifizierungssysteme hinausgeht. supergreen ist ein holistisches Prinzip, das neben Fragen der CO2-Vermeidung und Klimaneutralität auch Aspekte wie soziale Nachhaltigkeit, gesunde Lebensräume, Identität, Integration und Ästhetik einschließt. Mir geht es darum mit meinen Bauten den Menschen, der Gesellschaft und der Umwelt möglichst viel zurückzugeben.
Ihr Büro strebt eine Architektur an, die sehr spezifische Antworten auf den jeweiligen Umgebungsort als auch auf drängende Fragen der Gegenwart und Zukunft sucht. Lassen sich globale Megatrends mit den lokalen Gegebenheiten überhaupt vereinbaren?
Die Herausforderungen sind in Tokio, Sydney, Düsseldorf und Stuttgart ähnlich, aber in unterschiedlichen Ausprägungen. Und deshalb können die Antworten nur ortsspezifisch sein. Neben dem Klimawandel sind es in der Architektur vor allem Trends wie New Work und Urbanisierung, für die wir zukunftsfähige Lösungen erarbeiten. Das ist meiner Erfahrung nach nur möglich, mit einer Synthese aus globaler Perspektive, ernsthaftem Dialog mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort und der Einbeziehung von Expertise aus allen relevanten Disziplinen.
Städte stehen im Fokus der weltweiten Bemühungen um Nachhaltigkeit. In den Nachhaltigkeitszielen der vereinten Nationen (UN) sind sie im Ziel „Nachhaltige Städte und Kommunen“ explizit genannt. Wie lassen sich Perspektiven für eine Stadt von morgen eröffnen und wie können sie Nachhaltigkeit weltweit stärken?
Im kommenden Jahrzehnt wird die Weltbevölkerung auf mehr als 9 Milliarden Menschen ansteigen. Das ist nur machbar und erträglich, wenn sich die Städte dementsprechend mitentwickeln. Ich sehe in jedem baulichen Projekt, in jeglicher Größe, eine Chance, die Zukunft unseres Zusammenlebens mitzugestalten. Die Bedeutung von Städten darf nie unterschätzt werden. Urbane Räume sind durch ihre ökonomische Leistungsfähigkeit für unseren Wohlstand verantwortlich, aber gleichfalls für einen Großteil des Ressourcenverbrauchs und des CO2-Ausstoßes. Damit sind sie wiederum prädestiniert, um mit gezielten Maßnahmen wirklich Veränderungen, Effekte zu erzielen. Wir müssen aufhören nur zu verbrauchen.
Wann ist eine Stadt lebenswert? Wie sähe aus Ihrer Sicht der ideale Masterplan aus?
In unserer Gegenwart geht es ganz konkret um die Förderung von Fuß- und Radverkehr, Stopp der Verbrennung fossiler Rohstoffe, Entsiegelung, der Möglichkeit zur gemischten Nutzung, und dem verdichteten Bauen. Städte müssen kinderfreundlicher werden, inklusiv wirken, und natürlich bedarf es mehr Grün. Aber Städte sind die komplexesten, resilientesten Systeme menschlichen Zusammenlebens. Eine Stadt komplett am Reissbrett zu entwerfen hat noch nie funktioniert. Es sind sehr wohl große strategische Eingriffe erforderlich, um sie besser zu machen – beim Kö-Bogen II in Düsseldorf ist das gelungen. Jedoch muss es Raum zur Entwicklung geben, um Städte für ihre Bewohnerinnen und Bewohner lebenswert zu machen. Ich halte Pluralität und Diskurs für Voraussetzungen, um sie anpassungsfähig zu halten. Es ist die Aufgabe von Architektur und Stadtplanung das Potential zur Wandlungsfähigkeit zu stärken und zu befördern.
Mönchengladbach hat sich als Mitglied im „Healthy Buildings Network“ dem Thema Gesundes Bauen verschrieben. Welche Rolle spielt das Thema „Gesundes Bauen“ in Ihren Planungen? Und worauf kommt es speziell bei „gesunden“ Verwaltungs- oder Bürogebäuden an?
Als Architekt muss ich das Individuum im Blick haben und ernst nehmen – das ist Teil meines holistischen Ansatzes. Um den Nutzerinnen und Nutzern unserer Gebäude eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu verschaffen, achten wir bei den Entwürfen beispielsweise immer auf eine gute Beziehung von Innen und Außen. Wer acht Stunden am Schreibtisch sitzt, soll die Umgebung vor dem Fenster wahrnehmen, Bäume sehen, eine schöne Aussicht genießen dürfen. Wir verzichten weitestgehend auf künstliche Klimatisierung, die Fenster lassen sich öffnen, es herrscht eine natürliche Luftzirkulation und wir verwenden möglichst Naturmaterialien. Soziale Entwurfsfaktoren sind etwa günstige Sichtbeziehungen zwischen den Arbeitsbereichen und informelle Kommunikationsräume.
Neubauten weisen bessere energetische Standards auf als Bestandsgebäude, aber auch die Rohstoffgewinnung für Bauvorhaben verbraucht Ressourcen und schadet dem Klima. In Mönchengladbach wird deshalb derzeit ein Gebäude für die Feuerwehr nach dem kreislaufwirtschaftlichen Cradle-to-Cradle-Prinzip gebaut, auch eine KiTa nach diesem hohen Nachhaltigkeitsstandard ist in Planung. Welche Rolle spielen Recycling und Kreislaufwirtschaft schon heute und wie groß schätzen Sie das zukünftige Potential ein?
Michael Braungart hat mit seinem Cradle-to-Cradle eine richtige Orientierung für die Bauwirtschaft entwickelt. Für mich war es immer wichtig, über Zertifizierungen und Standards hinauszudenken. Wir Architekten und Architektinnen sollten generell sorgsam und bewusst mit Materialien und Konstruktion umgehen und jedes Gebäude im gesamten Lebenszyklus betrachten und dessen Fußabdruck in jeglicher Hinsicht so gering als möglich halten. Die sinnvolle Verwendung von Naturmaterialien ist obligatorisch. Aber auch der Aspekt Bauen im Bestand gewinnt weiter an Bedeutung. Bei der Renovierung und Modernisierung des Düsseldorfer Schauspielhaus oder dem Betonsilo der Plange Mühle im Düsseldorfer Hafen haben wir bewiesen, dass man ältere Gebäude ohne Abriss und Neubau sehr attraktiv gestalten und funktional nutzen kann.
Herr Ingenhoven, herzlichen Dank für das Gespräch.