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Ernestine Moor

(Erna Morkepütz)

Biografie

Geboren am 26.02.1924 in Mönchengladbach-Rheydt; Handelsschule; Berufspraxis in der Großindustrie; 1963-1966 justizamtliche Tätigkeit; 1965-1979 ehrenamtliche Mitarbeit in pädagogischem Verband; Rentnerin. Erna Morkepütz verstarb am 16.12.2005.

(ausführlicher in: Literatur-Atlas NRW, 1992, S. 142)

Bibliografie

1957
Das Papierschiff. Roman, Köln

Beiträge in Anthologien u.a.m.

Leseprobe

Ich habe eine Sahnetorte mit Nüssen bestellt. Meine Frau hat schon am Samstag deswegen bei unserem Bäcker Bescheid sagen lassen, da sie nicht sicher war, ob er dienstags eine ganze Torte vorrätig hat. Es muß schon eine ganze sein, denn wir sind hier in der Verwaltung zu sieben Personen. Außerdem rechne ich noch den Kassenboten, den Pumpenwärter und den Lagerarbeiter hinzu, die gelegentlich mit einem Anliegen hereinkommen. Es wäre mir unangenehm, wenn ich zuwenig hätte.
Früher war es hier nicht üblich, auf solche Weise all der kleinen Höhepunkte zu gedenken, die nun mal notgedrungen mit dem Ablauf eines Menschenlebens verknüpft sind. Aber seit bei uns auch eine Frau beschäftigt ist - das ist schon seit etlichen Jahren der Fall -, seitdem hat sich diese Sitte mehr und mehr eingeführt. Ich möchte fast denken "Unsitte", denn im Grunde schätze ich diese Intimitäten nicht. Wenn man privates Gehabe allzusehr ins Berufsleben hinüberzieht, verliert man leicht den Boden unter den Füßen. Und das kann ich mir in meiner Position nicht erlauben. - Als es damals damit anfing, lagen die Dinge noch wesentlich anders.
Zu vergeben habe ich mir aber nichts. Auch bezüglich dessen, was vor Jahren hier geschah, sind Überlegungen oder gar Vorwürfe nicht am Platze. Wenn sich dennoch die Gedanken dorthin zurücktasten, liegt das wahrscheinlich an der Besonderheit dieses Tages. Ich habe heute eine Art Jubiläum. Ich selbst hätte es übersehen, wenn nicht Frau Beck in der vorigen Woche darauf hingewiesen hätte. Frauen haben einen ausgeprägten Spürsinn für alle Erinnerungstage. Und dann findet man plötzlich morgens ein Alpenveilchen auf dem Schreibtisch und weiß nicht weshalb. Man ist peinlich berührt, daß man gerade nichts bei sich hat, was man den Leuten anbieten könnte, denn natürlich kommen hinterher noch alle zum Gratulieren. Als mein Namenstag mal auf einen Sonntag fiel, bekam ich dennoch am Montag eine Blume. Damit hatte ich nicht gerechnet. Es war mir unangenehm, daß ich - da ich nur mäßig rauche - nicht einmal genügend Zigaretten für die Männer in meiner Tasche fand. - Ich hatte diesmal Frau Beck gebeten, den andern von meinem Jubiläum nichts zu erzählen. Aber sie hatte es schon getan. "Zehn Jahre sind eine lange Zeit", sagte sie vorwurfsvoll zu mir, "man kann diesen Tag nicht einfach übergehen."
Nein, man kann es nicht. Ich habe das inzwischen eingesehen. Deshalb habe ich ja die Sahnetorte bestellt. Auch ein Tütchen mit gemahlenem Bohnenkaffee hat Martha mir gegeben. An so etwas denkt sie manchmal, obwohl sie eigentlich mit sich selbst genug zu tun hat. Sie war es auch, die mich darauf hinwies, daß bei solchen Gelegenheiten Kaffee besser paßt als Bier oder Schnaps. Ich hasse es selbst, wenn während der Bürostunden Alkohol getrunken wird. Dies sollte man - falls der Anlaß es wert ist - tunlichst für den Feierabend aufheben. Ich glaube nicht, daß der heutige Anlaß das erfordert. Wenn ich mal mein Fünfundzwanzigjähriges feiere, dann vielleicht. Aber das hat noch fünfzehn Jahre Zeit. Fünfzehn eintönige Jahre, in denen sich eine Legion von Kontoblättern vollschreiben läßt und die Summe der Kasseneinnahmen in die Millionen wächst. Ich kann mir nicht vorstellen, was sonst noch in der Zwischenzeit geschehen könnte. Die Vergangenheit war zu sehr mit Geschehnissen gespickt, als daß ich von der Zukunft noch Überraschungen erwarte.
Seit geraumer Zeit schon befindet sich mein Schiff im sicheren Hafen. Ich bin Büroleiter der Kommunalen Versorgungswerke, und die paar Leute, die hier noch in den vier Zimmern hinter ihren Schreibtischen sitzen, sind meine Untergebenen. Mit Ausnahme von Meister Faßbauer, der für die technischen Belange verantwortlich ist. Wir beide zusammen haben Unterschriftsvollmacht. Mein Name steht an erster Stelle.
Dies gilt natürlich nur für den laufenden Geschäftsverkehr. Wenn etwas Außergewöhnliches vorliegt, müssen wir Herrn Dr. Wörrissen, den Geschäftsführer, bemühen. Als leitender Ingenieur unserer Muttergesellschaft kommt er gewöhnlich zweimal im Monat aus der Großstadt herüber, um hier nach dem Rechten zu sehen - der Form halber nur, denn im Grunde brauchen wir ihn nicht. Daß wir ihn zwischendurch noch behelligen, kommt selten vor. Es geschieht ja nichts. Es ist jeden Tag dasselbe; sicherlich ein Zeichen geordneter Verhältnisse, über die man sich freuen sollte, Indessen langweilen sie nur, ähnlich wie eine Zeitung, die man fortlegt, weil "nichts drinsteht", jedenfalls nicht Aufreibendes, Sensationelles. Das Friedsame und Gute wirkt eintönig, weil ihm der Nervenkitzel fehlt. Und daraus entsteht dann die Unlust, mit der auch ich gelegentlich zu kämpfen habe. Obwohl ich ihre Ursachen kenne, läßt sie sich nicht unterdrücken.
Seit etlichen Jahren schon lebe ich in diesem grau verputzten, imposanten Bau, habe eine tüchtige Frau und zwei hübsche, gesunde Kinder, verfüge über eine schöne Wohnung und ein gutes Einkommen und besitze seit kurzem sogar einen Wagen, einen neuen Opel. Und doch sind die Gedanken im Kopf manchmal wie festgeklebt. - Als ob es immer so hätte bleiben können wie damals! Und was ist schon gewesen damals, als ich hier anfing.?! Irgendeinen Gewinn hat mir die Geschichte nicht eingebracht, nicht einmal glücklich bin ich dabei gewesen. Im großen und ganzen bin ich bemüht, dies heute zu sein, denn Martha hat es verdient. Auch meine Untergebenen und Mitarbeiter haben es verdient. Es läßt sich gut mit ihnen arbeiten.

(aus: Das Papierschiff, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch in Köln, 1957, S. 7-9)