Der Kontrabass - der behaglich warme Teppich des Orchesters

Thomas Kolarczyk, ehemaliger Musikschüler und freiberuflicher Kontrabassist

„Ist da eine Oma drin?“ Diesen Satz kennt jeder Kontrabassist, der mit seinem Instrument im Koffer unterwegs ist. Tatsächlich steckt in dem fast zwei Meter hohen, taillierten Kasten ein Musikinstrument, das viel mit einer älteren Dame gemeinsam hat.

Diese Oma ist der sichere Hafen für die ganze Orchesterfamilie. Die große, kräftig gebaute Matrone strahlt Bodenständigkeit und Wärme aus, man fühlt sich in ihrer Gegenwart geborgen. Sie erzählt Geschichten aus aller Welt, kann aber auch gut zuhören und mal fünf gerade sein lassen. Die Wirbel auf ihrem Kopf sehen aus wie Lockenwickler. Denn die alte Dame macht sich gerne schick. 

Der Kontrabassist spielt im Stehen, als würde er seine üppige Tanzpartnerin im Arm halten.  Oder er sitzt auf einer Art hohem Barhocker. Unten am Kontrabass ist ein Stachel als Stehhilfe. Mit ihm überragt das Instrument seinen Musiker. Klassische Musik spielt der Kontrabassist zu 98 Prozent mit Bogen, und zwar im Untergriff: Die Hand führt den Bogen von unten mit gerundetem Handteller, als liege ein Apfel darin. In der Jazzmusik ist es genau anders herum: 98 Prozent der Musik werden pizzicato gespielt, also mit den Fingern gezupft.

Um den tiefsten Ton auf dem Kontrabass zu produzieren, würde die Orgel eine zehn Meter lange Pfeife brauchen. In dieser Tonlage entstehen so lange Schallwellen, dass wir sie körperlich fühlen können. Der Kontrabass wird an Bauch und Schulter an den Körper gelehnt. Beim Spielen spürt der Musiker ein angenehmes Vibrieren im Bauch. Und wer die Schuhe auszieht, kann auf Holzboden auch ein leichtes Kitzeln unter den Füßen wahrnehmen. Die meisten Menschen lieben diese tiefen Töne. Auch Babies mögen das beruhigende Brummen. Bei den hohen Signaltönen der Geige hingegen fangen sie schnell an zu weinen. Genau wie die Geige hat der Kontrabass keine Bünde, sondern man muss die Finger nach Gehör richtig platzieren. Aber wenn das mal nicht ganz gelingt, verzeiht die alte Dame manches. Hohe, schiefe Töne stören unser Ohr mehr.


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Zu wem passt der Kontrabass?

Der Kontrabassist sollte sich nicht schnell aus dem Tritt bringen lassen, sondern ein Typ sein, der Ruhe und Sicherheit vermittelt. Hünenhafte Männer sind nicht automatisch im Vorteil - auch 1,60 Meter große, zarte Frauen können hervorragende Bassistinnen sein. Denn es gibt dieses Instrument in jeder Größe - auch in der Musikschule schon für sechsjährige Kinder. Zwar trifft auf den Koloss das Wort „schleppen“ eher zu als „tragen“. Aber deshalb muss das Mama-Taxi das Instrument nicht jede Woche zur Musikschule kutschieren: Dort stehen Kontrabässe für den Unterricht bereit. Es braucht am Anfang etwas Zeit, bis der Musiker genug Kraft in den Fingern hat. Aber das kann und muss jeder lernen. Denn wenn jemand die tiefe, dicke E-Saite nicht drücken kann, schnarrt der Ton. Oder anders gesagt:  Was haben Bauarbeiter und Kontrabassisten gemeinsam? Kräftige Hände mit Schwielen.

Berühmte Kontrabassmusik

Vor der Musikschule unterwegs: Thomas Kolarczyk und sein Kontrabass.

Der Kontrabass ist für das Orchester wie ein behaglich warmer Teppich, auf dem alle anderen stehen. Ist der Teppich zu dünn, dann bekommt die ganze Mannschaft kalte Füße. Ohne Bass kommt kein Ensemble klar und schon gar kein sinfonisches Werk. Müsste der vierte Satz von Beethovens 9. Sinfonie ohne Kontrabass auskommen, dann würde aus der wuchtigen „Ode an die Freude“ ein „Liedchen an die Freude“.

Aber der Bass hat auch grandiose Soloauftritte: zum Beispiel im ersten Satz von Mahlers 1. Sinfonie, wo er die Melodie von „Bruder Jakob“ in Moll variiert. Oder als Elefant in Saint-Saëns „Karneval der Tiere“: Da hört man wirklich einen gutmütigen Dickhäuter durch den Dschungel stampfen. Das Vorspiel von Richard Wagners Oper „Rheingold“ beginnt mit einem einzigen langen Kontrabass-Ton, einem tiefen Es. Aus diesem minutenlangen tiefen Brummen entfaltet sich die ganze Oper.

Spektakulär ist der Bassist Lee Rocker von der Rockabilly-Band Stray Cats, der bei Konzerten auf seinen Kontrabass springt und ihn halb verprügelt. Die Jazz-Sängerin Peggy Lee hat den Song „Fever“ mit einem so dunklen, markanten Bass eingespielt, dass der Song von vielen gecovert wurde, auch von Elvis und Beyoncé. Und auf YouTube ist eine Version mit den Puppen der Muppet Show zu sehen - very groovy!

Thomas Kolarczyk

Kontrabassist in Berlin und Leipzig

Der Kontrabass kann kopflos machen - jedenfalls wenn Thomas Kolarczyk sein Instrument so trägt wie auf diesem Bild.

Wie kommt er mit dem Kontrabass auf dem Rücken ohne Auto im vollen Berlin zurecht? Thomas Kolarczyk lacht. „Sehr gut. Und der Kontrabass ist das ideale Mittel, um Kontakt zu bekommen.“ Es ist mit dem Kontrabass, wie wenn man einen süßen Hund dabei hat: „Viele sprechen dich an, du kommst oft in lustige Situationen.“ Einmal bekam er allerdings mit einem Kontrollschaffner in der Leipziger S-Bahn Ärger, weil er kein Ticket für seinen Kontrabass hatte. Er musste tatsächlich eine Fahrkarte nachlösen. Zunächst hat Thomas Gitarre und E-Bass gespielt, erst mit 17 Jahren hat er den Kontrabass entdeckt. Nach ein paar Monaten spielte er schon in mehreren Orchestern und Bands. Er hat sich so in das Üben gekniet, dass er nach zwei Jahren die Aufnahmeprüfung  für die Hochschule in Berlin geschafft hat. Inzwischen hat er regelmäßig Auftritte in den großen Berliner Jazzclubs, auf Festivals und bei barocken Kirchenkonzerten. Irgendwann hat er sich auch in die Musik von Bach verliebt. „Ich könnte mein Leben lang nur Bach spielen“, sagt er. „Barockmusik lebt von melodiösen, kraftvoll-treibenden Basslinien.“ Deshalb hat er sein Master-Studium in Alter Musik in Leipzig absolviert. Zum Glück ist Thomas nicht Veganer. Denn sonst hätte er ein Problem: In der Barockmusik spielen Kontrabassisten für einen weichen, authentischen Klang auf Saiten aus Schaf- oder Katzendarm.

Übrigens...

Kinder freuen sich meist nur mäßig über den Satz: „Was bist du groß geworden!“ Genauso groß ist die Freude bei Kontrabassisten, wenn sie ihr bis zu zehn Kilo schweres Instrument auf dem Rücken schleppen und wieder einmal den Spruch hören: „Hättest du mal lieber Blockflöte gelernt.“