Die Bratsche - die große, ruhige Schwester der Geige

Julia Zimmermann, ehemalige Schülerin, studiert Schulmusik

Bratsche spielen ist eher wie eine Wattwanderung über Sandbänke als das Extremklettern der Geiger. Die Bratsche ist keine Diva, keine Aspirantin für aufregende Soli. Die große, ruhige Schwester der quirligen Geige lenkt im Orchester oft die Stimmung. Sie spürt als erste, ob es lustig, traurig oder dramatisch wird. Im Streit der Orchesterfamilie ist sie es, die den Konsens fördert. Wenn in einer Brahms-Sinfonie die Hörner vier Takte ein Solo spielen, dann nehmen die Bratschen die letzten zwei Töne davon auf und geben sie an die ersten Geigen weiter. Sie fallen nicht auf, aber ohne sie würde da ein Loch klaffen oder zumindest wäre der Übergang schroff.

Ihren Namen hat die Bratsche, auch Viola genannt, von der italienischen Bezeichnung „Viola da Braccio“ (Armgeige). Sie ist 43 cm lang. Das sind etwa neun Zentimeter mehr als bei der Geige. So einen Knochen mit verdrehtem linken Arm zu halten, lernen Bratschisten aber ebenso wie Geiger.

Und dafür belohnt sie der anschmiegsame Samttöner: Viele verlieben sich in den Klang der tiefen C-Saite. Sie kann weich, verträumt und melancholisch daherkommen, aber im Forte auch wild und rau, „wie der Rauchgeschmack von Holz und Erde“, beschrieb der Komponist Ligeti. Die Bratsche ist eine Quinte tiefer gestimmt als die Geige und eine Oktave höher als das Cello. Ihr Stimmsitz ist wie bei einer Alt-Sängerin mit üppigen Rundungen: geerdet und auch in der Höhe dunkel gefärbt.

 

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Zu wem passt die Bratsche?

Wer tellergroße Pranken hat, sollte definitiv besser Bratsche als Geige spielen. Aber kleine Kinderhände sind kein Grund, die Bratsche zu meiden - es gibt sie für jede Größe passend. Bratschisten sind oft bescheidene, gutmütige Typen, deren Geltungsdrang sich in gesunden Grenzen hält. So wie in jeder Familie die Rollen verteilt sind, operieren die anderen Instrumente gerne mit der Formel „Bratsche gleich bräsig“. Es gibt lange Sammlungen von Bratscher-Witzen. Für den Bratschisten Francis Norman ist klar: „Die Geigen foppen uns nur, weil sie neidisch sind, dass sie mehr üben müssen.“ Aber auch mit ihrer Rolle als Ostfriesen des Orchesters gehen die Bratschisten gelassen-selbstbewusst um. Es fördert sogar noch den sowieso stark ausgeprägten Teamgeist im Flügel der Bratschen. Und wer sich am meisten über diese Witze amüsiert, sind am Ende die Bratschisten selbst.  

Berühmte Bratschenmusik

Im klassischen Ensemble regelt die Bratsche den Verkehr zwischen hohen und tiefen Stimmen. Aber sie hat durchaus auch Auftritte als Solistin. Das „Brandenburgische Konzert“ von Bach ist ein Paradebeispiel aus dem Barock - mit einer edlen, getragenen Bratschen-Solopartie. Auch in Bruchs „Romanze Op. 85“ zeigt die Bratsche als Solistin ihre sehnsuchtsvolle Stimme. Hindemiths „Sonate für Bratsche“ ist dunkel-melancholisch. In allen Popstücken mit Streicherensembles sorgt die Bratsche für Ruhe und Wärme, zum Beispiel in „Auf uns“ von Andreas Bourani oder „Viva la Vida“ von Coldplay.

 

Julia Zimmermann

studiert Schulmusik auf Lehramt

Julia Zimmermann

Julia hat nicht nur den gleichen Nachnamen wie die weltbekannte Bratschistin Tabea Zimmermann aus Berlin. Angenommen, Tabea und Julia Zimmermann würden nebeneinander stehen: Sofort würde einem bei beiden das gleiche breite, sonnige Lächeln auffallen. Die gleiche positive, offene Ausstrahlung - ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Für beide ist die wichtige, aber nicht so auffällige Mittelstimme im Orchester der Ort, an dem sie sich am wohlsten fühlen. Für die Gemeinschaft da sein, das ist Tabea ein Anliegen, zum Beispiel als Botschafterin für Kinderhospize. Genau wie Julia, die Schülersprecherin der Marienschule war. „Unterrichten macht mich glücklich“, sagt Tabea, die mit 19 Jahren den ersten Lehrauftrag hatte. Auch Julia hat als Schülerin schon jüngere Streicher unterrichtet. Nun studiert sie in Köln und will Musiklehrerin werden. Julia liebt den Moment, wenn im Orchester alle Musiker spüren, dass etwas Gemeinsames entsteht. Und das offene, herzliche Miteinander, das sie nirgendwo sonst so kennt. „Das möchte ich an andere weitergeben.“ Einen Unterschied gibt es: Tabea spielt Bratsche, seit sie drei Jahre alt ist. Julia hat den typischen Umweg über die Geige genommen. Als sie elf war, hat ihre Geigenlehrerin ihr vorgeschlagen umzusteigen. „Ich fand den warmen, vollen Bratschenklang damals schon wunderschön. Aber ich habe mich nicht getraut, wegen der Witze über Bratschisten.“ Mit 16 Jahren hat Julia sich einen Ruck gegeben. „Das war die beste Entscheidung meines Lebens“, sagt sie. Unter den gelassenen, humorvollen Bratschisten fühlt sie sich auch im Orchester viel wohler: „Geiger sind extrovertierter, gehetzter, sie konkurrieren mehr.“

Francis Norman

Lehrer, Jazz- und Pop-Bratschist

Francis stand schon mit Rihanna, Robbie Williams, Take That und Adel Tawil auf der Bühne, er ist bei Stefan Raabs „TV total“ und bei „Wetten dass…?“ als Musiker aufgetreten. Als Jazz- und Pop-Bratschist hat Francis Norman in einer Nische Karriere gemacht. Der ehemalige Schüler der Musikschule hat wegen seiner großen Hände mit zwölf Jahren von der Geige zur Bratsche gewechselt. Gerade für elektronische Musik findet er die Bratsche mit ihren voluminösen, akkordartigen Tönen passender als ihre kleine Schwester Geige, die mit Verstärker „grell bis aufdringlich“ klingen kann.

Francis ist ein sehr intuitiver Musiker. Mit 19 Jahren war er zum ersten Mal in Ghana, wo sein Vater geboren wurde. „Dort wird überall und von früh bis spät Musik gemacht. Mir wurde klar, woher ich meine Musikalität habe.“ Francis ist auch Segelflieger. Beim Fliegen gleitet er durch die wechselnden Winde, aber er hat den Steuerknüppel in der Hand. Bratsche spielen ist für ihn das gleiche Wechselspiel zwischen Reagieren und Lenken. Seit einigen Jahren unterrichtet Francis an der Musikschule und leitet das Ensemble „Die Rockstreicher“. Er hat eine kleine Tochter. Sie heißt Viola.

Übrigens...

Sitzen zwei Männer nebeneinander im Flugzeug. Einer sagt: „Ich kenne einen guten Bratschenwitz.“ Der andere meint: „Ich sollte vielleicht erwähnen, dass ich Bratschist bin.“ „Macht nichts, dann erzähle ich den Witz eben gaaaanz langsam.“