Der Bökelberg

Vor 100 Jahren, im Herbst 1919, feierte man die Eröffnung einer Sportstätte, die später unter dem Namen „Am Bökelberg“ oder einfach nur „Bökelberg“ legendär werden sollte. Im Grunde handelte es sich um eine ehemalige Kiesgrube, die man mit einer Mauer umgeben hatte und auf deren Grund ein Sportplatz lag. Sie hieß offiziell „Westdeutsches Stadion“, doch die Gladbacher nannten sie einfach nur die „Kull“.

 

Fantastische Fußballarenen gibt es einige. Sie sind die Schauplätze großer, oftmals als dramatisch empfundener Triumphe oder Niederlagen. Die „Helden“ dieser Ereignisse bleiben unvergessen. Es sind die Spiele und die Spieler, die ein einfaches Sportstadion in einen legendären Ort verwandeln. Dies alles gilt auch für den Bökelberg. Von hier aus machte sich eine junge Generation auf, um als Fohlenelf die Fußballwelt aus den Angeln zu heben. Netzer, Vogts, Heynckes und all die anderen haben längst ihren festen Platz im kollektiven Fußballgedächtnis erobert.

 

Doch der Bökelberg ist weit mehr. Von der Eröffnung des Stadions bis zu seinem Ende war er eigentlich nie das, was er sollte, machte stets das, was er wollte. Er entzog sich dem rational-sachlichen Verständnis, war nie wirklich fassbar. Ein echter Mythos eben.

Zeitstrahl Mythos Bökelberg

Fußball hinter dem Bretterzaun: Vor Einweihung des Stadions spielt die Borussia auf wechselnden Fußballplätzen der Umgebung. Ein Bretterzaun ist schon ein gewisser Luxus, denn er eröffnet die Möglichkeit, Eintrittsgelder zu erheben.

Oberbürgermeister Hermann Piecq eröffnet am 21. September 1919 den Fußballplatzes in der ehemaligen Kiesgrube, den späteren Bökelberg. Im Vordergrund Mitglieder des Turnvereins Germania, mit dem die Borussia von 1919 bis 1921 fusioniert.

Von Anfang an ist der Bökelberg ein reines Fußballstadion, das eine unglaubliche Nähe des Publikums zum Spielgeschehen ermöglicht.

Hier ein Spiel der Auswahl West- gegen die Süddeutschlands  1921 vor 21.000 Besuchern.

Die erste Mannschaft der Borussia 1929.


Der Zustand der „Tribünen“ im Hintergrund erklärt den Namen „Kull“.

Der Spielbetrieb nach dem Krieg  im notdürftig hergerichteten Stadion beginnt 1946.

Die Borussia spielt am 7. April gegen den Rheydter SV – und verliert 0:1 gegen den alten Rivalen.

Mehr „Kull“ als Stadion auch in den Oberligazeiten der 1950er-Jahre:

Die Stufen auf den unbefestigten Tribünen hatte man einfach aus der Erde herausgestochen.

Beflügelt durch den ersten großen Erfolg, den Gewinn des DFB-Pokals 1960, beginnt der Ausbau der „Kull“ zu einem „richtigen“ Stadion.

Endlich werden die Ränge befestigt.

Das Eröffnungsspiel des neuen Stadions gegen Glasgow Rangers endet 1:1 vor ausverkauften Rängen.

Seit den frühen 1960er-Jahren setzt sich auch der Name Bökelberg gegenüber der „Kull“ durch.

1963 nimmt die Bundesliga ihren Spielbetrieb auf.

Zwei Jahre später steigt die „Fohlenelf“ um Günter Netzer in die Bundeliga auf und wird selbst zum Mythos.

Das gerade erst ausgebaute Bökelbergstadion sieht schon wieder alt aus.  Es wird den Ansprüchen der Bundesliga nicht gerecht und muss modernisiert werden. Erstmals wird ein Teil (die Westtribüne)  überdacht.

Endlich gibt es auch Flutlicht.

Müller gegen Müller:


Die Gladbacher „Fohlen“, hier Ludwig „Luggi“ Müller, und die Bayern aus München, hier Gerd Müller, dominieren die Bundesliga in den 1970er Jahren.

Zahlreiche Bundesligisten wie Köln, Dortmund oder Düsseldorf bekommen für die WM 1974 neue oder vollständig modernisierte Stadien – auf dem Bökelberg wird die Osttribüne erstmals vollständig geschlossen. Andererseits bleibt er als reine Fußballarena eine Ausnahme mit unverwechselbarer  Atmosphäre.

Die Borussia wird Deutscher Meister und gewinnt ihr letztes Spiel mit 2:1 gegen den 1. FC Köln. Doch während der Bökelberg der Ort der Triumphe in der Bundesliga ist, werden die wichtigsten Europapokalspiele im Rheinstadion ausgetragen.

Letztmalig finden umfangreiche Umbauarbeiten statt: Die Westtribüne wird vollkommen neu ausgebaut.

Die Lage im Wohngebiet  bleibt problematisch und verhindert die weitere Entwicklung der Sportstätte.

Am Widerstand der Anwohner sollen spätere Ausbaupläne scheitern.

Am 22. Mai verabschiedet sich die Borussia mit einem Sieg über die Münchner Löwen vom Bökelberg.

Der Bökelberg will nicht gehen: Bei der Sprengung am 7. März 2006 bricht die Tribüne mit großem Getöse zusammen – doch das Dach, an Stahlseilen hängend, bleibt einfach stehen.

Der Mythos vom Berg

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Die Besonderheiten des Bökelberges beginnen schon beim Namen. Mit 60 m liegt er zwar rund 15 m über dem benachbarten Stadtteil Eicken.
Doch gilt das als Berg?
Kann man bei 60 m über dem Meeresspiegel überhaupt von einem Berg sprechen?
Die mittlere Höhe von Mönchengladbach wird mit 70 m angegeben, nicht einmal an diese reicht er heran. Die höchste Erhebung der Stadt ist die Rheydter Höhe mit 133 m. Zu allem Überfluss hat man das Stadion auch noch in einer ehemaligen Kiesgrube angelegt. Es liegt daher deutlich niedriger als die Umgebung. Dementsprechend hieß der spätere Bökelberg auch bis in die 1960er-Jahre hinein immer nur die Kuhle bzw. die „Kull“ – das genaue Gegenteil von einem Berg.
Streng genommen liegt das Stadion auch nur auf dem Weg zum Bökel, an der Bökelstraße. Der Begriff bezeichnet das Areal der Kaiser Friedrich-Halle/Bunter Garten. Der Bökelberg ist schon vom Namen her das Gegenteil von dem, was er zu sein scheint: weder Bökel noch Berg.

Bildergalerie

Die Bildergalerie liefert nicht nur Impressionen zum Mythos Bökelberg. Sie können sich darüber hinaus von unserem Sportreporter Tobias Wessler erklären lassen, was sich dahinter verbirgt! Nutzen Sie dazu unsere "Mythos Bökelberg"-App.

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Ein wahrer Mythos

 Vom Bökelberg aus machte sich in den 1960er-Jahren eine Spieler­­generation auf, um mit begeisterndem Offensivspiel die Fußballwelt aus den Angeln zu heben. Doch es sind nicht nur die Geschichten um Netzer, Heynckes, Vogts, Bonhof & Co, die den Spielort legendär machten. Der Bökelberg tat das, was einen echten Mythos ausmacht. Er entzog sich dem realen Zugriff, war nie richtig fassbar.

Weder Bökel, noch Berg

Das Verwirrspiel beginnt schon beim Namen: Ein Stadion in einer Kiesgrube wird zum „Berg“.

Turner versus „Englischer Sport“

Zu Zeiten der Eröffnung 1919 standen sich Turner und „englische Sportler“ noch recht unversöhnlich gegenüber. Ausgerechnet die Turner drückten der Eröffnungsfeier  des Fußballstadions ihren Stempel auf.

Zwischen „Kull“ und „Westdeutschem Stadion"

Tribünen oder Erdhang, „Kull“ oder Stadion? Auch hier entzieht sich der Bökelberg und überlässt es dem Ermessen des Betrachters, nicht den Realitäten des Ortes, für was er sich entscheidet.

Auf dem Weg zum Mythos

Er ließ sich einfach nicht festlegen, der Bökelberg. Sportlich bewegte sich die Borussia in den 1950er-Jahren zwischen Nationalspielern und zweiter Liga, baulich nach wie vor zwischen Erdloch und Stadion. Und als die Stadt die Sportstätte 1954 erwarb, hielten die einen diese für eine Baulast, die anderen für ein städtebauliches Filetstück.

Der verspätete Bau

In den Jahren nach Eröffnung der „Kull“ entstanden andernorts, z.B.  in Köln und Düsseldorf, topmoderne Stadien. Kaum befestigte man die Ränge des Bökelbergs 1962, ließ der Aufstieg in die Bundesliga ihn schon wieder alt aussehen. Und als 1972 der Osthang endlich geschlossen wurde, bekam die maßgebliche  Bundesligakonkurrenz neue Stadien für die WM 1974. Baulich war der Bökelberg immer „von gestern“, als reines Fußballstadion mit einzigartiger Atmosphäre den anderen um Längen voraus.

Die Fohlenelf

Die Borussia errang ihre großen Erfolge in den 1970er-Jahren. Doch der Bökelberg war zu keinem Zeitpunkt das, was von einem Stadion seiner Kategorie erwartet wurde. Daraus ergab sich die fast schon paradoxe Situation, dass die größten Spiele und Triumphe der Borussia in der Regel gar nicht dort stattfanden, sondern im Düsseldorfer Rheinstadion. Im entscheidenden Moment entzog  sich der Bökelberg, ganz wie es sich für einen Mythos gehört.

Die reine Fußballarena

Im Grunde hatte man 1919 einfach einen Fußballplatz in eine Kiesgrube gelegt – ohne Laufbahnen, Sprung- oder Wurfanlagen. Die bautechnische Rückständigkeit entpuppte sich als größtes Plus des Bökelbergs. Nirgendwo waren die Fans so nah an den Spielern und am Spielgeschehen.

Der Pfostenbruch

Zwei der spektakulärsten Ereignisse im deutschen Vereinsfußball konnten  eigentlich nur an einem Ort wie dem Bökelberg stattfinden. Eines ist das berühmte Pfostenbruch-Spiel von 1971. Erst entzog der Bökelberg in dem Spiel gegen Werder Bremen ein Tor, dann wurde das ganze Spiel annulliert und verschwand damit. In wunderbarer Widersprüchlichkeit wurde es gerade dadurch legendär.

Der Büchsenwurf

Sein Meisterstück in Sachen Mythos lieferte der Bökelberg im legendären Europapokalspiel gegen Inter Mailand 1971 ab. Auch dieses Spiel wurde annulliert und verschwand aus allen Chroniken. Doch weil man sich nicht wegen der Übertragungsrechte einigen konnte, fand es fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Und nicht einmal die Legende um dieses Spiel ist wirklich stimmig. Denn der legendäre Büchsenwurf, der zur Wiederholung des Spiels führte, fand beim Spielstand von 2:1 statt. Davon, dass sich die Italiener die Wiederholung  eines 7:1 verlorenen Spiels erschlichen, konnte zu diesem Zeitpunkt keine Rede sein.

Das Finale

Mit dem letzten Bundesligaspiel verabschiedete sich der Bökelberg angemessen von der Bundeligabühne – und nahm den TSV 1860 München, einen der großen Traditionsclubs des deutschen Fußballs, gleich mit. Doch unvergessen bleibt die Sprengung  der Haupttribüne, der sich der der Bökelberg verweigerte.

Die Bilder wurden für das Projekt "Mythos Bökelberg" von folgenden Urhebern freundlicher Weise zur Verfügung gestellt: Agentur Horst Müller, Johannes Kruck, Stadtarchiv Mönchengladbach, Dieter Wiechman, Plakatmotiv: Manfred Babucke