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18.09.2025

So war die Wirtschaft 1975 gestrickt

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von: WFMG
Lesedauer: 8 Min

Wirtschaftsstandort MG 1975

Ein zu bewältigender wirtschaftlicher Strukturwandel als Mammutaufgabe vor der Brust, hohe Arbeitslosenzahlen, eine eingetrübte städtische Haushaltslage und eine Wirtschaftspotenzialanalyse, die Aufschlüsse über die zukünftige Ausrichtung des Wirtschaftsstandorts geben sollte: Was wie eine Beschreibung des Ist-Zustands im Jahr 2025 klingt, stammt de facto aus dem Jahr 1975. Anlässlich des Jubiläums „50 Jahre miteinander eine Stadt“ und im Auftrag der WFMG – Wirtschaftsförderung Mönchengladbach GmbH hat die Geschichtswerkstatt Mönchengladbach eine Analyse der wirtschaftlichen Situation Mitte der 1970er Jahre erstellt. Mit einigen überraschenden Ähnlichkeiten zur Jetztzeit – und zugleich markanten Abweichungen.

Im Jahr 1975 wurde aus drei Gebietskörperschaften Mönchengladbach, Rheydt und Wickrath die heutige Stadt Mönchengladbach. Wirtschaftspolitisch eine sehr bewegte Zeit: Die Wirtschaftswunderjahre waren gerade zu Ende gegangen, die Ölkrise von 1973 hallte nach, die Verlagerung der Produktion aus westlichen Industrieländern nach Fernost setzte ein.  Der Niederrhein und Mönchengladbach waren hiervon besonders betroffen, da die Textil- und Bekleidungsindustrie für rund 150 Jahre die Schlüsselindustrie bzw. Leitbranche gewesen war. Es galt kreative Lösungen zu finden, um den Strukturwandel zu bewältigen.

 

Wirtschaft im Wandel

 

Wie die Herausforderungen und vor allem aber auch die Lösungsansätze seinerzeit aussahen, hat die WFMG anlässlich des Stadtjubiläums „50 Jahre miteinander eine Stadt“ von der Geschichtswerkstatt Mönchengladbach herausarbeiten lassen. In ihrer Analyse „Die Mönchengladbacher Wirtschaft um das Jahr 1975. Oder: Vom Ende des ,Rheinischen Manchesters‘“ leiten Hans Schürings und Karl Boland zunächst her, dass noch zwölf Jahre zuvor, 1963, niemand so recht an einen Niedergang der Textilindustrie hatte glauben wollen. Im Gegenteil, die Industrie- und Handelskammer (IHK) habe sich damals sogar noch „verhalten optimistisch“ gezeigt, was die Zukunft der dominierenden Branche am Niederrhein anging. Doch es kam anders: „Im Jahr 1975 hatte die textilindustrielle Branche nach erfolgter Städtefusion in der neuen Stadtkonstellation keine Leitfunktion mehr inne“, schreiben Schürings und Boland.

Die Zeiten hatten sich also rapide geändert – mit den erwartbaren Begleiterscheinungen wie Massenentlassungen. Kluge Gegenmaßnahmen waren gefragt.   So wurde etwa 1974 eine Studie (das sogenannte Prognos-Gutachten) in Auftrag gegeben, um Ansätze einer zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung und einer professionellen kommunalen Wirtschaftsförderung für das neue politisch vereinte Wirtschaftsgebiet zu skizzieren. „Ziele sollten sein: die Verringerung der Arbeitslosigkeit, Möglichkeiten der lokalen Unternehmer zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit, neue und unkonventionelle Wege sowie eine vermehrte Risikobereitschaft seitens der Stadt bezüglich der eigenen Wirtschaftsförderung“, so Schürings und Boland in ihrer Analyse.

Im Jahr 1975 hatte die textilindustrielle Branche nach erfolgter Städtefusion in der neuen Stadtkonstellation keine Leitfunktion mehr inne

Karl Boland / Hans Schürings

Zu diesem Zweck wurden Zielgruppe für Ansiedlungen neuer Unternehmen in der Reihenfolge des höchsten zu erwartenden Arbeitskräftepotentials empfohlen: Luftfahrzeugbau, Kunststoffverarbeitung, Maschinenbau, Elektrotechnik und Elektronik, Chemie, Druckerei und Vervielfältigung sowie Holzverarbeitung. Speziell japanische Unternehmen wurden vermehrt in den Fokus genommen und konnten zur Ansiedlung in Mönchengladbach bewegt werden.

Heute steht Mönchengladbach einmal mehr vor ähnlichen Herausforderungen. Das Aus des Braunkohle-Tagebaus führt zum nächsten Strukturwandel, die Arbeitslosenquote ist (wieder) anhaltend hoch, der tertiäre Sektor ist weiterhin unter Druck. Erneut sind kluge Gegenmaßnahmen gefragt, Lösungen aber ebenfalls bereits in Erarbeitung oder Umsetzung. So wurden beispielsweise unlängst über eine Wirtschaftspotenzialanalyse erfolgsversprechende Zukunftsfelder definiert, ist der Umbau zur Wissenswirtschaft am Standort im Gange und soll über Projekte wie die Textilfabrik 7.0 versucht werden, Produktion zurück nach Europa zu holen. 

Die Mönchengladbacher Wirtschaft um das Jahr 1975

oder vom Ende des „Rheinischen Manchesters“

 

„Zum Ausgang der 1940er Jahre waren die wirtschaftlichen Grundlagen für die kommunal-politische Neuordnung schon erkennbar, die 1975 vollzogen werden sollte.“[1]

Eine Analyse von Karl Boland und Hans Schürings von der Geschichtswerkstatt Mönchengladbach anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Zusammenlegung der Städte Mönchengladbach und Rheydt sowie der Gemeinde Wickrath im Rahmen der kommunalen Neugliederung.


[1] Henning, Hansjoachim: Die Wirtschaft im städtischen Raum, in: Löhr, Loca Desiderata – Mönchengladbacher Stadtgeschichte, Band 3.1, Köln, 2003, S. 575-757, hier S. 707

Die Autoren der Wirtschaftsanalyse: (v. links) Hans Schürings und Karl Boland

Bildunterschrift: Die Entwicklung der Beschäftigten im Gladbach-Rheydter-Raum von 1956-1986, Quelle: Burg, Ulrich: Die industrielle Entwicklung der Stadt Mönchengladbach – Zum regionalen Lebenszyklus einer altindustriell geprägten Stadtregion, (Diplomarbeit), Mönchengladbach, 1987, S. 68

 

Noch im Jahr 1963 war die Industrie- und Handelskammer zu Mönchengladbach verhalten optimistisch, was die Zukunft der hier dominierenden Textil- und Bekleidungsindustrie anbetraf. Für die Hälfte der Industriebevölkerung im Kammerbezirk bildete sie die wirtschaftliche Lebensgrundlage. An eine grundlegende und nachhaltige Krise bzw. vielleicht sogar Deindustrialisierung dieses Schlüssel-industriezweiges im Wirtschaftsraum Mönchengladbach dachte zu dieser Zeit noch niemand. Dies sollte sich in den nächsten 15 Jahren gewaltig ändern, und die Frage aufwerfen, wie soll es wirtschaftlich im hiesigen Raum weitergehen? Insgesamt betrachtet, gingen die sogenannten Jahre des „Wirtschaftswunders“ der Nachkriegszeit zu Ende. Während im Jahr 1970 insgesamt noch 56,9% der Erwerbstätigen im Sektor der Mönchengladbacher Industrie tätig waren, waren es 1987 nur noch 40,9%, und dies bei sinkenden absoluten Einwohnerzahlen.[2] Es ging also nicht mehr aufwärts, sondern die Wirtschaft stockte. Erforderliche frühe strukturelle Anpassungen an eine drohende Krise wurden nicht erkannt bzw. bewusst nicht in Angriff genommen. Im Jahre 1973 stoppte die Bundesregierung die Anwerbung der sogenannten „Gastarbeiter“ aus Südeuropa.


[1] Henning, Hansjoachim: Die Wirtschaft im städtischen Raum, in: Löhr, Loca Desiderata – Mönchengladbacher Stadtgeschichte, Band 3.1, Köln, 2003, S. 575-757, hier S. 707

[2] Vgl. ebd., S. 716

Bildunterschrift: Das Werbelogo („Textilläppchen“) der alten Stadt Mönchengladbach vor dem Ende des „Rheinischen Manchesters“

 

Bereits 1837/1838 wurde im damaligen Städtchen Gladbach eine Handelskammer für den Kreis Gladbach gegründet. Diesem Kreis gehörten schon zu dieser Zeit die Städte und Gemeinden Gladbach, Hardt, Neuwerk, Dahlen, Korschenbroich, Kleinenbroich, Neersen, Schiefbahn, Rheydt, Odenkirchen, Schelsen, Liedberg und Viersen an.[1] Schon lange vor den Städtezusammenlegungen von M.Gladbach, Rheydt, Odenkirchen, Giesenkirchen usw., die in den Jahren 1929 als auch 1975 erfolgten, wurden in Wirtschaftskreisen die ökonomischen Interessen bereits in einem größeren räumlichen Zusammenhang gesehen, gedacht bzw. verfolgt. Dies lag sicherlich bereits damals primär in der gemeinsamen Ausrichtung der wirtschaftlichen Tätigkeiten im Bereich der Textilherstellung und -verarbeitung. Es kann also vom heutigen Mönchengladbacher Stadtgebiet seit der Industrialisierung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts von einem Wirtschaftsraum oder Wirtschaftsgebiet gesprochen werden, der bzw. das als solcher auch wahrgenommen wurde.

Der erste Versuch, den Wirtschaftraum „Gladbach-Rheydt“ auch formal kommunalpolitisch ab 1929 zusammenzufügen, scheiterte bereits 1933 aus primär lokalpolitischen, nicht wirtschaftlichen, Gründen. Im Rahmen des kommunalen Neuordnungsprojektes im rheinisch-westfälischen Wirtschaftsraum ging es den preußischen Staatspolitikern damals darum, die gewachsenen Wirtschaftsräume mit den politischen Verwaltungsräumen in Übereinstimmung zu bringen. Bereits „(…) bis 1925 hatten sich die Strukturen der Arbeitsmärkte (in M.Gladbach und Rheydt/ d.V.) im sekundären Wirtschaftssektor (Industrie und Handel/ d.V.) weitgehend angeglichen,“[2] so der Wirtschaftshistoriker Hansjoachim Henning. Auch wenn es im Bewusstsein der Lokalpolitik und der Bevölkerung vor Ort oftmals nicht präsent war bzw. sein sollte, muss jedoch spätestens ab dieser Zeit das Mönchengladbacher Gebiet als ein großes textiles Industriegebiet mit gleichen wirtschaftlichen Interessen angesehen werden. Im Jahr 1963 hatte sich der Gladbacher Kammerbezirk mittlerweile ausgedehnt und erstreckte sich von Kaldenkirchen im Nordwesten bis Grevenbroich im Südosten, also wesentlich größer als nur das heutige Stadtgebiet.


[1] Vgl. Industrie- und Handelskammer zu Mönchengladbach (Hg.): Lebendige Wirtschaft im Wandel zum Morgen – 125 Jahre Industrie- und Handelskammer zu Mönchengladbach, Mönchengladbach, 1963, S. 29

[2] Henning, Hansjoachim: Die Wirtschaft im städtischen Raum, a.a.O., S. 706

Quelle: Henning, Hansjoachim: Die Wirtschaft im städtischen Raum, a.a.O., S. 757

 

Da die Textil- und Bekleidungsindustrie ca. 150 Jahre die Schlüsselindustrie bzw. Leitbranche im hiesigen Raum war, bedarf es zunächst einer näheren Betrachtung dieses Wirtschaftssektors. Zum 125-jährigen Jubiläum der Industrie- und Handelskammer zu Mönchengladbach im Jahr 1963 ging die Kammer noch von einer weiteren positiven Entwicklung dieser nahezu textilen Monostruktur aus. Es war die Rede vom „interessantesten textilen Industriegebiet im EWG-Raum.“ „(…) und wenn in fünf oder zehn Jahren die Schwerpunkte neu gebildet sind, dann wird die Textilindustrie des Mönchengladbacher Raumes auch im größeren Markt ihren Platz haben und ihren Anteil produzieren (…).“[1] Wie bekannt, kam es in dieser Hinsicht völlig anders.

Die tiefgehende und folgenreiche Krise nicht nur der niederrheinischen Textilindustrie in den 1960er und 1970er Jahren hatte sehr viele unterschiedliche Gründe und Facetten. Immer deutlicher zeichneten sich die negativen Schattenseiten der Abhängigkeit von der Textil- und Bekleidungsindustrie im Wirtschaftsgebiet ab. Einige der wichtigsten Gründe für den sich ausbreitenden Niedergang der Textilindustrie, die manche gar als Teil einer Deindustrialisierung bezeichneten, waren:

  • Nachfragesättigung bei Konsumgütern nach dem Zweiten Weltkrieg
  • Erhöhte Importe aus dem Ausland aufgrund dort kostengünstigerer Produktion
  • Geringere Exporte ins Ausland, da dort eigene Produktionen entstanden waren
  • Erhöhte Sozialleistungen und Löhne, also erhöhte Produktionskosten in Deutschland
  • Unterbeschäftigung seit ca. 1958
  • Relativ geringere Rationalisierungs- und Modernisierungsbereitschaft in der Textilindustrie
  • Die Textilindustrie blieb hinter der allgemeinen Produktionsentwicklung zurück
  • 1966/67 erste gesamtwirtschaftliche Rezession in Deutschland
  • Das tradierte Absatzkonzept in der Textilbranche wurde nicht im erforderlichen Maße weiterentwickelt bzw. modernisiert
  • Kapitalschwäche in der Textilbranche

Für den Gladbach-Rheydter Wirtschaftsraum war folgenreich, dass die übrigen industriellen Wirtschaftsbranchen - Metall- und Maschinenbau-, Elektro-, Druckindustrie etc. -, trotz zeitweisem Wachstum, die Verluste des textilen Sektors nicht kompensieren konnten. Deutlich spürbar wurde der Bruch des Aufwärtstrends mit der gesamtwirtschaftlichen Rezession in den Jahren 1966ff.. Insbesondere der Konsum und damit der Absatz an Kleidung etc., ging zurück. „Der Absatz im Inland aus dem Wirtschaftsgebiet Mönchengladbach-Rheydt ging für alle industriellen Branchen um 15% zurück.“[2] Einige Zahlen machen die Begleiterscheinungen des Trends überdeutlich. In den 10 Jahren von 1964 bis 1974 verringerte sich die Zahl der Textilbetriebe im Mönchengladbacher Raum von 170 (= 100%) auf 90 (= 52,9%), also nahezu auf die Hälfte, und in der Bekleidungsindustrie von 137 (= 100%) auf 99 (= 72,3%).[3] In den Jahren von 1956 bis 1984 verringerte sich die Zahl der in der hiesigen Textilindustrie Beschäftigten um 86,6%; dass war ein Minus von 26.190 Arbeitsplätzen.[4]

Neben der Schließung von zahlreichen Betrieben, entschlossen sich andere Unternehmen als Reaktion auf die Krisensituation mit überfälligen Rationalisierungsmaßnahmen. Beides hatte allerdings den gleichen Effekt: Freisetzung von Arbeitskräften[5] „Allein in Rheydt gingen während des Jahrzehnts zwischen 1957 und 1967 in der Textilindustrie 4.500 Arbeitsplätze verloren.“[6] Da die Rationalisierungsmaßnahmen und strukturellen Anpassungen sehr spät einsetzten, dann aber mit voller Kraft, wurden in kurzer Zeit zahlreiche Arbeitskräfte freigesetzt. Der Stadtrat Mönchengladbachs war sich der Notwendigkeit einer Strukturverbesserung zwecks Verbesserung des Branchenmix schon früh bewusst. Durch Ansiedlung neuer Branchen versuchte man in dieser Hinsicht zu wirken, jedoch nur mit mäßigem Erfolg.

Auch wenn die Leitbranche der Textilindustrie in Mönchengladbach spätestens bis Anfang der 1980er Jahre sozusagen ihr Waterloo erlebte, sollte das nicht das absolute Ende bedeuten. Nicht so ganz Unrecht hatte der weitsichtige Autor des erfolgreichen Buches „Textilbarone“, Hans-Karl Rouette, im Jahr 1996, als er prognostizierte: „Textil- und Bekleidungsfertigung sind nicht „out“, sondern im Wandel! Es wird sie hierzulande auch morgen und auch nach der Jahrtausendwende noch geben. Vielleicht nicht so, wie man sie kennt, wahrscheinlich anders, aber sie wird ihren Platz behaupten!“[7]


[1] Industrie- und Handelskammer zu Mönchengladbach (Hg.): Lebendige Wirtschaft im Wandel zum Morgen, a.a.O., S. 120

[2] Henning, Hansjoachim: Die Wirtschaft im städtischen Raum, a.a.O., S. 727

[3] Vgl.Reuter, Klaus P.: Die wirtschaftliche Entwicklung Mönchengladbachs als Unternehmensstandort – Analyse, Entwicklungstendenzen und Ansätze zur zukünftigen Wirtschaftsförderungspolitik der Stadt, Basel, 1976 [Untersuchung der Prognos AG im Auftrag der Stadt Mönchengladbach], S. 7

[4] Vgl. Burg, Ulrich: Die industrielle Entwicklung der Stadt Mönchengladbach, a.a.O., S. 72

[5] Vgl. Henning, Hansjoachim: Die Wirtschaft im städtischen Raum, a.a.O., S. 728

[6] Ebd., S. 729

[7] Rouette, Hans Karl: Textilbarone – Industrielle (R)Evolution in der Mönchengladbacher Textil- und Bekleidungsindustrie, Dülmen, 1996, S.512

Bildunterschrift: Entwicklung der Arbeitslosenzahlen im Mönchengladbacher Raum, Quelle: Burg, Ulrich: Die industrielle Entwicklung der Stadt Mönchengladbach, a.a.O., S. 78

 

Im Jahr 1975 hatte die textilindustrielle Branche nach erfolgter Städtefusion in der neuen Stadtkonstellation keine Leitfunktion mehr inne. Diese Rolle wurde von anderen Industriebereichen eingenommen, u.a. Metall-, Maschinenbau- und Elektroindustrie. Doch trotz des Wachstums der Metall verarbeitenden Industrie in den 1960er Jahren gelang es nicht, sie zu einer führenden Leitbranche auszubauen. Der Sektor Textilmaschinenindustrie erreichte 1971 mit 12.614 Beschäftigten den höchsten Stand in Mönchengladbach und Rheydt, mit einem danach folgenden Beschäftigungsrückgang.[1] Bereits um 1975 wurde hier die Grenze ihrer Absatz- und damit Wachstumsmöglichkeiten erreicht.[2] Die Verluste an Arbeitsplätzen in der Textil- und Bekleidungsindustrie konnten, wie oben dargestellt, nicht ausgeglichen bzw. kompensiert werden. Die Elektroindustrie war in der Lage, ohne große Verluste ihr Level zu halten. Die Baubranche erlitt nur geringe Verluste bzw. Einbußen, abgesehen vom Rückschlag in der Rezession 1966/67, der sich deutlich auf alle Bereiche auswirkte.

Bis 1975 (Rezession 1966/67; Ölpreisschock 1973 etc.) wurde die Position des sekundären Sektors insgesamt kontinuierlich abgeschwächt. Wobei die in der Textilindustrie weggefallenen Arbeitsplätze aufgrund der dort vorhandenen besonderen – in nicht geringen Teilen auch niedrigen – Qualifikationsstruktur in anderen Bereichen, wo hochqualifizierte Arbeitskräfte erforderlich waren, nicht aufgefangen werden konnten. Die Arbeitslosenzahlen stiegen in der Region spürbar an und blieben auf hohem Niveau.


[1] Vgl. Burg, Ulrich: Die industrielle Entwicklung der Stadt Mönchengladbach, a.a.O., S. 72

[2] Vgl. Henning, Hansjoachim: Die Wirtschaft im städtischen Raum, a.a.O., S. 733

Bereits vor der Städtezusammenlegung hatte sich die Stadt Mönchengladbach vermehrt um die Ansiedlung von japanischen Firmen bemüht. Was auch in bescheidenem Ausmaß zunächst gelang. „Seit Ende der 70er wurde bereits durch die Ansiedlung von Tochtergesellschaften japanischer Unternehmen eine neue Phase in der industriellen Entwicklung der Stadt Mönchengladbach eingeleitet.“[1] Im Jahr 1987 waren es acht japanische Firmen mit etwa 500 Arbeitsplätzen (Sansetsu, JVC, Tockai Seiku, Hoya Lens, Bando Rubber, Nippon Express, Toshiba, Bando Chemicals). Da die Fluktuation der japanischen Firmen sehr hoch war, befanden sich im Jahr 1996 nur noch zwei Produktions- und ein Serviceunternehmen mit 437 Beschäftigten in der Stadt.[2] Dr. Schückhaus, seit 1999 Geschäftsführer der WFMG, hat bezüglich des japanischen Wirtschaftsengagement in Mönchengladbach andere Erinnerungen, wie er den Verfassern im April 2025 mitteilte.[3]

Noch im Vorfeld der verwaltungsmäßig neu geschaffenen Stadt Mönchengladbach gaben die Städte Mönchengladbach und Rheydt im August 1974 ein Gutachten bezüglich der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung und einer professionellen kommunalen Wirtschaftsförderung für das neue politisch vereinte Wirtschaftsgebiet in Auftrag. Diese Expertise, das sogenannte Prognos-Gutachten, erschien im Jahr 1976.[4] Ziele sollten sein: Die Verringerung der Arbeitslosigkeit, Möglichkeiten der lokalen Unternehmer zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit, neue und unkonventionelle Wege sowie eine vermehrte Risikobereitschaft seitens der Stadt bezüglich der eigenen Wirtschaftsförderung.

Zunächst ging das Gutachten zwar insgesamt von einer Verringerung der Einwohnerzahlen aus, bei gleichzeitigem Anstieg der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Erwerbstätigen. Das Arbeitsplatzdefizit wurde bis 1985 auf 10.300 beziffert. Hierfür sollten neue Arbeitsplätze geschaffen werden. „Mönchengladbach sieht sich heute (um 1975/ d.V.) vor einer Ausgangssituation, die gekennzeichnet ist von den Spätfolgen lange Zeit wirkender historischer Gegebenheiten, einer Reihe ansiedlungspolitischer Kurzsichtigkeiten der jüngeren und jüngsten Vergangenheit sowie den wegen der Branchenstruktur hier besonders stark spürbaren grundlegenden Veränderungen wirtschaftlicher Rahmenbedingungen.“[5]

Empfohlen wurden damals als Zielgruppe für Ansiedlungen neuer Unternehmen in der Reihenfolge des höchsten zu erwartenden Arbeitskräftepotentials: Luftfahrzeugbau, Kunststoffverarbeitung, Maschinenbau, Elektrotechnik und Elektronik, Chemie, Druckerei und Vervielfältigung sowie Holzverarbeitung. Angesichts der finanziellen Haushaltssituation der Stadt, waren massive Marketingstrategien jedoch kaum zu verwirklichen.

Neben diesen Empfehlungen gab die Expertise zahlreiche weitere Hinweise, wie Wirtschaftsansiedlung betrieben werden konnte und sollte und welche nicht nur organisatorische, sondern gerade auch infrastrukturelle Vorraussetzungen (Verkehr, Wohnen, Marketing etc.) seitens der Stadt zu erfüllen waren, um zum Ziel zu kommen. Ein besonderes Augenmerk legte das Gutachten auf den Aufbau einer ergebnisorientierten, professionellen und in das Gefüge der relevanten städtischen Verwaltungsbereiche wirkungsorientiert implementierten Wirtschaftsförderung. Die Erfahrung hatte gezeigt, dass genau an diesem Punkt in der Vergangenheit Schwachpunkte zu erkennen waren. Der Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Gutachter aufgrund der auch auf mittlerer Sicht begrenzten städtischen Finanzmittel genau an dieser Stelle den Ort ausmachten, von dem aus mit viel Kreativität, Überzeugungskraft und Risikofreudigkeit brauchbare Ergebnisse zu erwarten waren.


[1] Burg, Ulrich: Die industrielle Entwicklung der Stadt Mönchengladbach, a.a.O., S.81f.

[2] Vgl. Rütten, Daniel: Die räumliche und funktionale Entwicklung der Stadt Mönchengladbach seit der kommunalen Gebietsreform 1975, Mönchengladbach, 1997, S.107

[3] „1996 müssen deutlich mehr als zwei japanische Unternehmen in Mönchengladbach gewesen sein. Ich bin 2001 erstmals nach Japan gereist, um die Headquarter Gladbacher Unternehmen zu besuchen und ich meine mich zu erinnern, dass es damals acht Unternehmen aus Japan in MG gegeben hat. Besucht habe ich damals Nippon Express und Tokai Seiki. Definitiv gab es damals auch noch OTC Daihen, Bando Chemicals, Hoya Lens und Daifuku, die es anders als Tokai auch noch heute gibt. Bei der zweiten Japan-Reise ein paar Jahre später habe ich dann OTC in Osaka besucht.“

[4] Vgl. Reuter, Klaus P.: Die wirtschaftliche Entwicklung Mönchengladbachs als Unternehmensstandort, a.a.O.

[5] .Ebd., S. VI

Die Wirtschaftliche Situation der neuen Stadt Mönchengladbach war um 1975 schwierig, da „eine gesamtwirtschaftliche krisenhafte Entwicklung mit einer wirtschaftlich relativ ungünstigen Ausgangssituation der Stadt zusammenfällt.“[1] Die kommunale Neuordnung fiel inmitten eines wirtschaftlichen Umbruchs; nicht nur in Mönchengladbach. Mit dem Niedergang der Leitbranche Textil nach dem Zweiten Weltkrieg korrespondierte ein umfassender industrieller Niedergang im Wirtschaftsraum Mönchengladbach. „1975 liegt die Leistungskraft der Wirtschaft der neuen Stadt unterhalb des nordrhein-westfälischen Durchschnitts.“[2] Etwa parallel zur Zahl der Gesamtbeschäftigten hatte die Zahl der Arbeitskräfte im Textilsektor seit 1960 abgenommen, während sie sich in den Bereichen der Bekleidungs- und Metallindustrie einigermaßen halten konnte, ohne aber jedoch dort spürbar zuzulegen. Um das Jahr 1975 stiegen die Arbeitslosenzahlen in der Stadt deutlich, um Anfang der 1980er Jahre noch einmal signifikant zuzulegen. Auch heute noch – trotz zahlreicher Maßnahmen der Wirtschaftsförderung - hat der lokale Arbeitsmarkt weiterhin mit Schwachpunkten zu kämpfen. Immer noch hat die heutige Stadt Mönchengladbach eine Arbeitslosenquote von ca. 11% zu verkraften.

Verwendete Literatur:

Henning, Hansjoachim: Die Wirtschaft im städtischen Raum, in: Löhr, Loca Desiderata – Mönchengladbacher Stadtgeschichte, Band 3.1, Köln, 2003, S. 575-757

Industrie- und Handelskammer zu Mönchengladbach (Hg.): Lebendige Wirtschaft im Wandel zum Morgen – 125 Jahre Industrie- und Handelskammer zu Mönchengladbach, Mönchengladbach, 1963

Burg, Ulrich: Die industrielle Entwicklung der Stadt Mönchengladbach – Zum regionalen Lebenszyklus einer altindustriell geprägten Stadtregion, (Diplomarbeit), Mönchengladbach, 1987

Reuter, Klaus P.: Die wirtschaftliche Entwicklung Mönchengladbachs als Unternehmensstandort – Analyse, Entwicklungstendenzen und Ansätze zur zukünftigen Wirtschaftsförderungspolitik der Stadt, Basel, 1976 [Untersuchung der Prognos AG im Auftrag der Stadt Mönchengladbach]

Porschen, Dieter (Hrsg.): 200 Jahre Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein, Schriften zur rheinisch-westfälischen Wirtschaftsgeschichte, Sonderband Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln, Köln, 2004

Rouette, Hans Karl: Textilbarone – Industrielle(R)Evolution in der Mönchengladbacher Textil- und Bekleidungsindustrie, Dülmen, 1996

Rütten, Daniel: Die räumliche und funktionale Entwicklung der Stadt Mönchengladbach seit der kommunalen Gebietsreform 1975, Mönchengladbach, 1997

Boland, Karl: Vom Niedergang einer besonderen Industriebranche im Industriebezirk Gladbach-Rheydt, in: Boland, Karl; Schürings, Hans (Hg.): Textil Industrie Kultur in Mönchengladbach, Vom einstigen Rheinischen Manchester und Hauptplatz der Baumwollindustrie, Mönchengladbach 2022 2. Aufl., S. 287-315


[1] Reuter, Klaus P.: Die wirtschaftliche Entwicklung Mönchengladbachs als Unternehmensstandort, a.a.O., S. 57

[2] Rütten, Daniel: Die räumliche und funktionale Entwicklung der Stadt Mönchengladbach, a.a.O., 1997, S. 102