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Dr. Christof Siemes

Textchef der ZEIT
Speersort 1
20095 Hamburg
Tel.: 0049 40 3280 368
Fax: 0049 40 3280 509
Email: siemes@zeit.de

Wikipedia: Christof Siemes – Wikipedia

Biografie

Geboren am 11. August 1964 in Rheydt, er wuchs im Stadtteil Venn auf, wo er auch die Grundschule besuchte.

Die erste Erwerbstätigkeit erfolgte durch den Verkauf von Günter-Netzer-Autogramm-Karten. 1974 bis zum Abitur 1983 besuchte er das Stiftisch Humanistische Gymnasium.
Nach dem Wehrdienst studierte er Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Bonn, ab 1987 in Freiburg i. Breisgau. 1990 schloss er sein Studium mit dem Magister ab und begann mit der Promotion ber dem ostdeutschen Lyriker Peter Huchel. Erste journalistische Erfahrungen beim Presseamt der Stadt Mönchengladbach und bei BILD folgten. Anschließend 1991 bis 1993 besuchte er die Henri-Nannen-Schule, die Journalistenschule des Verlags Gruner & Jahr in Hamburg. Seit Dezember 1993 ist er Redakteur bei der Wochenzeitung DIE ZEIT in Hamburg. 1994 Abschluss der Promotion; Das Testament gestürzter Tannen das lyrische Werk Peter Huchels, erscheint im Rombach Verlag, Freiburg. 1996 bis 1999 Chefredakteur des ZEITmagazins, Einstandsartikel über den Humor am Niederrhein Dat is doch alles Quatsch Nach 1999 Kulturreporter, seit 2018 Textchef bei  Die ZEIT.

Im Herbst 2003 Veröffentlichung des ersten (und bislang einzigen) Romans Das Wunder von Bern, das Buch zum gleichnamigen Film von Sönke Wortmann. Christof Siemes: "Irgendwas muss man ja machen aus einer Sozialisation im Schatten des Bökelbergs. Zur Schreibmotivation der Autor weiter: Und warum überhaupt schreiben? Weil Rechnen schwerer ist. Weil jeder das tun sollte, was er am besten kann und nicht das, von dem fürsorgliche Ratgeber glauben, es würde Sicherheit gewährleisten. Weil man am einfachsten lesend (und Lesen geht jedem Schreiben voraus) selbst die Enge Mönchengladbachs hinter sich lassen kann. Weil man auch schreibend eine Familie ernähren kann."

Bibliografie

2003
Das Wunder von Bern, Roman.
Köln: Kiepenheuer und Witsch

Leseprobe

Sonntag, 14. März 1954, noch 113 Tage bis zum Finale

Dies ist die Geschichte von Matthias Lubanskis größtem Sieg. Sie beginnt mit einer Niederlage. Und einem seltsamen Geräusch.

Erst ist es nur ein feines, fernes Zischen. Dann wird es ein Rhythmus, flappflappflapp, als schüttele drüben in der Siedlung jemand sein Kopfkissen aus. Aber das kann gar nicht sein. Am Nachmittag macht in Essen-Katernberg niemand mehr die Betten, hier hat jeder Tag seinen Plan, auch der Sonntag, und auf dem steht bestimmt nicht: 17 Uhr Betten machen. Denn dann könnte da auch gleich stehen: Hast wohl dein Leben nicht im Griff?! Den Vormittag im Kahn gelegen, weil du am Abend vorher nicht aus Christas Eck rausgekommen bist, wa? Das soll aber nicht sein bei anständigen Leuten. Und wohnen hier nicht nur so welche, anständige Leute? Die was Vernünftiges tun, sogar am heiligen Sonntag? Zwischen den Gemsebeeten ein bisschen schuffeln zum Beispiel, im Garten hinter dem Haus. Wie ein Regal voller Schuhkartons reihen sie sich aneinander, kaum so lang, wie das Haus hoch ist, zu dem sie gehören. Links und rechts und am Ende ein Zäunchen, dazwischen ein paar Zeilen Grünzeug, Kohl, Kartoffeln und manchmal Salat, der freilich schnell schmutzig wird. Wie die Häuser aus rotem Klinker, die ja nicht deshalb die schwarze Kruste haben, weil da jemand Farbe draufgeschmiert hat. Nein, wenns regnet, ist es immer nicht nur Regen, Ruß ist dabei, von der Kokerei und eine Menge anderes Zeug auch. Was genau, weiß keiner, nur dass es Krusten auf die Häuser macht und auf jedem Salatblatt liegt. Deshalb lieber Kartoffeln, die stecken eh im Dreck, und soviel Schäuffeln muss man zwischen denen auch nicht.
Flappflappflapp.Der alte Tiburski kann es nicht sein, er macht gerade Pause, seine verschossene blaue Jacke hängt auf dem Zaunpfosten. Tiburski hat nur noch einen Arm, der andere ist in Russland geblieben. Deshalb stochert er nur ein bisschen rum, unrhythmisch, wie immer in dem ärmellosen Unterhemd, das schon bessere, weißere Tage gesehen hat. Tiburski lockert den Boden nicht, er attackiert ihn, stößt mit dem kleinen Eisenspatel am Ende der langen Holzstange immer wieder zu, die Krume der Feind, die Wut der Antrieb. Jeden Angriff begleitet er mit einem Geknurr, aus dem manchmal Worte wegspritzen wie Steine aus der harten Erde: Wie kann man so dämlich sein! Oder: Ich krieg dich doch noch! Oder: Zu Befehl, Herr Oberfeldarschloch! Und: Nu spiel schon ab, du Bekloppter!. Solche Sachen halt. Flappflappflapp ist nicht dabei.
Das Gerusch kommt vom Himmel. Matthias hat es die ganze Zeit gewusst. Angestrengt hat er gelauscht und nach oben gestarrt, eine Hand über den Augen. Es ist ein schöner Frühlingstag, aber richtig blau ist der Himmel nicht. Dunst hängt wie ein fadenscheiniges Trikot in der Luft, oft gewaschen und ein bisschen graugelb verschossen. Ringsum recken sich Schornsteine empor und stoßen Dampf aus. Irgendwo weit oben über Matthias Kopf vermischt sich alles, dann fährt der Wind durch, und fertig ist der Dunst, der einem an so vielen Tagen den Himmel vorenthält. Aber von irgendwo da kommt das Geräusch.

Matthias ist ihm entgegengeklettert, genauso wie Peter, Mischa, Lutz. Und Carola auch. Sie stehen auf den Ästen der alten Eiche, kleine Gespenster in kurzen Hosen und kratzigen Pullovern. Es sind noch nicht mal 15 Grad, aber genug für eine kurze Hose. Fand jedenfalls Matthias Mutter, da kann man sich wenigstens nicht die Knie schmutzig machen. Und nur halb soviel dran kaputtreießn wie an einer langen. Also blutet Matthias rechtes Knie jetzt, die Eiche ist knorrig. Richtig hoch ist sie nicht, aber andere Bäume gibts nicht, alles umgemacht im Laufe der Jahre, was höher als einsfünfzig gewachsen war, und ab in den Ofen. Aber die eine Eiche reicht, um die Taube rechtzeitig sehen zu können.
Flappflappflapp. Matthias legt den Kopf so weit in den Nacken, dass er fast hinten überfällt. Doch bevor er abstürzt, packt er mit beiden Händen den Ast, auf dem er die ganze Zeit gestanden und gestarrt hat, springt hinunter und rennt los. Schon hat er den Bolzplatz erreicht, der direkt hinter den Gärten liegt, so dass schon mancher von Tiburskis Kohlkpfen Opfer einer verunglückten Flanke wurde. Aber jetzt spurtet Matthias nicht wie sonst dem Ball hinterher, die schwarze Asche des Platzes fliegt unter seinen Sohlen weg, vorbei an Schutthaufen und der Wäsche, die gleich dahinter auf der Leine im Wind flattert. Er reit die Holztür zum ersten Hinterhof auf, überquert ihn mit vier, fünf Schritten, stürmt ins Haus, die Treppen hinauf bis zum Dachboden. Weißes Licht erfüllt den Raum, ein Schneetreiben aus Staub und Federn. Matthias zieht den Kopf ein, die Beule von letzter Woche spürt er immer noch. Schwer geht sein Atem, und der Geruch von Tier, vergessenem Futter und Kot macht das Luftholen nicht leichter. Endlich hat er den Holzriegel an der Tür aus Maschendraht aufgefingert und schlüpft in den Verschlag. Mit geübtem Griff packt er die Taube, nicht brutal, aber bestimmt, eine Hand um den Hals, die andere nestelt an ihrem Fuß. Da ist der Zettel, vom Preußen-Stadion hierher in nicht mal anderthalb Stunden, schneller gings wirklich nicht für mehr als hundert Kilometer.
-Und?
Peter und die anderen sind inzwischen alle unterm Dach angekommen und starren auf Matthias.
-Preußen Münster drei...
Matthias zögert. Selbst die Tauben haben ihr aufgeregtes Geflatter eingestellt und gurren nur noch.
-Rot-Weiß Essen...eins. Tor Islacker.
Er lässt den Zettel sinken. Erfolgsserie Ende. Und ausgerechnet gegen Preußen Münster! Wie kann man gegen die verlieren?
-So werden wir nie Deutscher Meister.
Peter scharrt mit dem Fuß im Taubendreck. Matthias nickt stumm. Aber das ist nicht mal das Schlimmste. Das Schlimmste ist das Tor von Islacker. Der Boss hat also wieder nicht getroffen.