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Marita Rohmer

Marita Rohmer

Biografie

Geboren am 18. Juli 1955 in Mönchengladbach; nach dem Besuch der Marienschule Ausbildung zur Drogistin und med. Fußpflegerin; 1995 Umzug "auf's Land" nach Niederkrüchten. Mit dem Schreiben begann die Autorin vor zehn Jahren. Der wohl wichtigste Anlaß hierfür war ein Ereignis in ihrem Leben, dessen Eintritt für eine junge Frau im "tiefsten Binnenland" statistisch mit einer nur vernachlässigbaren Wahrscheinlichkeit verknüpft ist: Die Heirat mit einem See-Mann und damit die Eingewöhnung in eine für sie völlig fremde Welt. Die Autorin: "Die ersten Eindrücke aus einer mir bis dahin verschlossen gebliebenen Welt haben mich derart fasziniert, dass ich mich hinsetzen und mich sowohl in schriftstellerischer wie in aller Form damit konfrontieren mußte Es ist ein Dasein fern jeder so beschriebenen - aber zu keiner Zeit vorhandenen gewesenen - Seefahrerromantik. Ein Leben, das einen in seinen Bann schlägt, einen nicht mehr losläßt. Ein Leben, das vielen absolut nichts bedeutet. Für ebenso viele macht es alles aus." Dabei sind ihre Geschichten, mit denen sie mal humorvoll mal ironisch, aber auch besinnlich und nachdenklich aus dem Leben einer Seemannsfrau erzählt, keineswegs autobiografisch. Kritisch setzt sie sich mit der desolaten Situation der deutschen Handelsflotte - gekennzeichnet durch Ausflaggen und rigorosen Abbau von Arbeitsplätzen - auseinander. Mit einem Sterben der deutschen Flotte würden die Faszination, die Geschichte, die Eigenart und die Liebe zu einem Beruf, der für viele einmal Berufung war, unwiderruflich verloren gehen. Es ist ihr auch sehr daran gelegen, mit ihrem Schreiben, die ihrer Meinung nach haarsträubenden Vorurteile gegenüber dem Beruf eines Seemannes abzubauen.

Bibliografie

Anfänglich Veröffentlichungen in seefahrtsbezogenen Zeitschriften und Magazinen, sowie Kalendern und regionalen Zeitungen.

1994. Verheiratet mit einem Seebären. Das nicht alltägliche Leben einer  Seemannsfrau. Bremen.  ISBN 3-929902-13-3

1998. Mein Mann, der fährt zur See. Bremen.  ISBN 3-931785-64-5

Leseprobe

Hautnah mit dem Sterben, mit dem Tod in Berührung gekommen bin ich bisher dreimal. Das erste Mal in der Kindheit, als meine Großmutter an einem Herzinfarkt starb. Die Oma, mit der ich abends noch erzählt und gelacht und der ich "eine gute Nacht" gewünscht hatte und von der es am nächsten Morgen hieß: Sie ist tot. Gestorben. Weg für immer. Meine geliebte Oma. Die Frau, die mich all die Jahre mit ihrer Güte, ihrer Liebe und ihrer Wärme umhüllt hatte. Eine Oma, wie jedes Kind sie sich wünscht und wie jeder kleine Mensch sie haben müßte - weil er sie braucht. Bei ihr war es so herrlich gemütlich. An sie konnte ich mich rankuscheln, wenn wir zusammen auf dem breiten, alten Sofa saßen. Heute noch meine ich oft, die weiche Wolle ihres großen, grauen Schultertuches auf meiner Haut zu spüren. Einen kurzen, glücklichen, wehmütigen Augenblick lang. Und nun war diese Oma gestorben. Sie lag da in ihrem Bett, die gefalteten Hände auf der Decke. Die Augen geschlossen, stumm, mit einem seltsam wächsernen Gesicht. Und plötzlich war sie so weit weg, so fremd. Und das Mädchen von 13 Jahren stand in der Tür zu ihrem Schlafzimmer. Voller Angst schaute es auf diese reglose Gestalt und wagte sich nicht hinein in diesen Raum, in dem ja jetzt wohl nur noch der Geist oder die Seele der Oma waren. Es stand da und wartete, daß diese geschlossenen Augen sich wieder öffnen, dieser Mund wieder lächeln und diese erstarrte Gestalt endlich wieder die Oma sein würde, die es kannte und liebte, und die einen nicht verlassen darf! Und da war er zum ersten Mal: Dieser Schmerz um etwas, das man für immer verloren hat. Beim zweiten Mal war ich 21. Es war an einem Samstagmorgen und ich betrat das Krankenzimmer genau in dem Moment, als der Tod zu meinem Großvater kam. Er kam wie ein flüchtiger Schatten, der sich auf sein Gesicht legte, wie ein leiser Hauch, wie ein sanftes Auslöschen. So, wie man die Flamme einer Kerze behutsam auspustet. Ich hatte mir gerade im Bad das Blut von den Händen gewaschen. Das Blut meines Großvaters, das er in einem dunkelroten Schwall in die Schale erbrochen hatte, die ich für ihn hielt. Mehr konnte ich nicht tun. Seltsamerweise waren meine Hände dabei völlig ruhig. Kein Zittern. So, als sei das, was ich tat, das Natürlichste von der Welt. Ich durfte während seiner letzten Stunden bei ihm sein. Ich war bei demjenigen, der, seit ich denken kann, Tag für Tag für mich da gewesen war. Hier hatte ich keine Angst mehr. Ihn konnte ich streicheln. Ein letztes Mal. Ein gnädiges Schicksal ließ ihn friedlich und in Würde sterben. Man sagt: Der Mensch stirbt so, wie er gelebt hat. Meine Mutter hatte den Vater verloren und ich den Mann, der in so vielen Dingen mein Lehrer war. Für uns alle war er der Fels in der Brandung des Lebens, den mancher Schicksalsschlag angekratzt, aber über den nichts die Macht gehabt hatte, ihn stürzen zu lassen. Ihm verdanke ich meine Liebe zur Natur, zu den Tieren. Er lehrte mich Dinge überhaupt wahrzunehmen, mit wachen Augen zu sehen, zu beobachten. Ich kann Freude empfinden an dem tanzenden Blatt im Herbstwind, an dem Geruch des Waldes nach einem Regenschauer, an flaumweichen Schneeflocken, die alles in eine Märchenwelt verzaubern. Ich staune, wenn aus einem winzigen Samen etwas so Prachtvolles wie eine Sonnenblume emporwächst. Ich finde es herrlich, barfuß über ein Stoppelfeld zu laufen und an einem Sommertag auf einer Wiese zu liegen und in den blauen Himmel über mir zu schauen. Mehr nicht, nur schauen und träumen und längst Vergangenes wieder sehen. Ich mag einen feuchten Hundekuß, und es macht mich glücklich, wenn ich meine Wange an die samtenen Nüstern eines Pferdes legen kann, und es mir seinen warmen Atem in's Gesicht pustet. (Ich höre es schon: Dieses Igitt, wie kann man nur! Wie unhygienisch!) Aber es kommt noch schlimmer: Wenn mir danach ist, umarme ich Bäume, und ich esse Erdbeeren direkt vom Strauch. Mit dem ganzen Dreck. (Igitt, Igitt, aber wirklich!) Ob ich es noch kann? Bis auf den höchsten Ast eines Apfelbaumes klettern, mich so lang machen, daß ich mit den Fingerspitzen auch den Apfel ganz da oben ertasten kann. Dann würde ich sie wieder hören, die Stimme meines Großvaters: "Na, kriegst du den auch noch?" Und ich würde ihn wieder sehen, wie er erwartungsvoll zu mir raufblickt. Von ihm habe ich das Positiv-Denken und die Gabe, Menschen zu erkennen. Er brachte mir bei, da Gelassenheit und Besonnenheit zu zeigen, wo beides angebracht ist. Ich bin sicher, wäre ich nicht so schüchtern, ich könnte ganze Gesellschaften unterhalten, genau wie er es konnte und liebte. Wenn es so etwas gibt wie Stolz und wenn man solch ein Gefühl zulassen darf, dann... Dann würde ich sagen: "Opa, darauf, daß ausgerechnet du mein Großvater warst, darauf bin ich mächtig stolz!" (...) Fast noch schöner: Das Toben auf dem Heuboden. Nachlaufen durch kniehohes Heu oder als Mutprobe das Runterspringen von aufeinandergestapelten Strohballen. Wer traute sich von fünf? Wer von sechs, von sieben? Schuhe und Strümpfe wurden vorsorglich ausgezogen, hatten wir doch so schon genug damit zu tun, uns von Strohhalmen und Heuresten zu befreien. Und dann nachmittags zur Kaffeezeit Pfannkuchen. Wir durften wählen: Mit Äpfeln, mit Pflaumen oder Kirschen. Diese Pfannkuchen waren unschlagbar. Die schaffte niemand so gut wie Frau Häring. Und erst ihre selbstgemachten Waffeln! Gebacken in einem schweren, gußeisernen, uralten Waffeleisen, das sie an den langen Griffen packte und damit hantierte, als spüre sie dessen Gewicht nicht. Stürmten wir, hungrig wie stets, Punkt 16.00 Uhr rein, war die "Kaffeetafel" für uns schon gedeckt. Solche Mengen wie damals habe ich nie wieder verdrückt. Alles sehe ich vor mir als sei es gestern erst gewesen. Ich sehe Frau Häring, Onkel Karl und Tante Bäbchen am Holztisch in der Küche sitzen, sehe den riesigen Herd, der eine ganze Wand einnahm und auf dessen blankgescheuerter Platte ständig etwas vor sich hinköchelte. Ich sehe mich als 11, 12 jähriges Mädchen mit meinen Freundinnen beim Rumstöbern auf dem Speicher. Eigentlich durften wir da nicht rauf, aber wir schlichen uns natürlich doch so manches Mal heimlich die so verräterisch knarrende, steile Holztreppe hoch. Zu groß war die Versuchung, denn was gab es da unterm Dach nicht alles zu entdecken. Für uns Kinder eine Wunderwelt zwischen ausgedientem Pferdegeschirr, das nach altem, brüchigen Leder roch, vollgestopften Kisten und Kartons, zwischen ausrangiertem Werkzeug, wackligen Möbelstücken und einem Spinnrad, das direkt am Ende der Treppe stand. Zur Winterzeit wurde es runtergeholt in die gute Stube, und Frau Häring spann aus Schafwolle das Garn, aus dem sie an den langen Abenden dicke, herrlich warme Socken strickte. Diese "Selbstgestrickten" bekommen wir heute noch zu Weihnachten geschenkt. Sie gehören für mich dazu. Zu so richtig schön gemütlichen Stunden daheim. Meinen Mann bewahren sie vor "Eisfüßen" bei der Arbeit an Bord. Ich sehe mein Pony auf der Weide hinter'm Haus und uns, wie wir über die Wiesen zur "Lewert" laufen, dem schmalen Bach, der sich zur anderen Seite des Dorfes hinzieht. Kein Stacheldrahtzaun, der hoch genug war, uns aufzuhalten. So manche Schramme, die wir uns einhandelten. So mancher Riß, der unsere Hose zierte. Aber das alles gehörte dazu: Zu einem Sommer in der Eifel. Eine Kindheit voller Glück und unendlich vielen frohen Stunden. Opa, Oma, Papa, Mama, haben wir Euch je genug gedankt? Gedankt für etwas Einmaliges: Die Erinnerung an liebe Menschen, die Erinnerungen an den Geruch eines alten Hauses, an den des Waldes und den nach frischgepflügter Erde, an den Duft einer Sommerwiese, an die Wärme eines Stalles, an das leise Plätschern eines Baches, die Erinnerung an unbeschwertes Kinderlachen und an das Glücksgefühl, das wir empfanden, wenn es wieder soweit war: Endlich Ferien, endlich Eifel! Ja, die Erinnerung. Hier ist sie überall an meiner Seite. Alles ist vertraut, alles ist wie Heimat. Heute gehe ich den Weg an der Kyll entlang und biege nach links in den Wald ab. Wandere zwischen hohen Tannen hindurch. Hier rauscht der Wind, und die schweren Zweige wiegen sich majestätisch zu seiner Melodie. Ähnlich wie am Meer fühlt man sich eines mit sich und der Natur. Ich muß zusehen, daß ich mit meinen Aufzeichnungen fertig werde. An den Winter mag ich gar nicht denken, ich bin absolut kein "Wintertyp". Ich werde melancholisch, sobald die Tage kürzer und die Nächte länger werden. Das ist jedes Jahr so, ich kann mich nicht dagegen wehren. Aber soll ich das? Ist es nicht besser, ich lasse auch diese Gefühl zu? Als etwas, das zu mir gehört und mit dem ich gelernt habe, umzugehen. Wie immer, so werde ich auch diesmal flüchten. Flüchten in die Welt meiner Bücher und Phantasien. Du weißt ja Papa, Bücher haben mir stets viel geben können. Das war während meiner Kindheit schon so und ist bis heute so geblieben. Bücher und Äpfel! Aber sauer müssen sie sein! Nur die sauren taugen zu einem guten Buch! Die früher, aus unserem Garten, das waren sowieso die besten! Du lächelst? Wie schön.

(Aus: Am Ende des Regenbogens. Bislang unveröffentlicht)