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Ralf Pint

Flachsbleiche 74
41179 Mönchengladbach
Tel.: 02161/ 59 37 86
E-Mail: r.pint@web.de

Biografie

Ralf Pint ist Jahrgang 1963, lebt in Mönchengladbach und schreibt überwiegend Kurzgeschichten und dramatische Texte. 1987 wurde er von der Berliner Festspiele GmbH zum Treffen Junger Autoren zur Auszeichnung der Kurzgeschichte „Verwandlung“ eingeladen. Im selben Jahr erfolgte die erste Veröffentlichung einer Kurzgeschichte in einer Anthologie. Danach Studium und neben weiteren Veröffentlichungen eine intensive Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen des Schreibens, insbesondere Stilfragen sowie modernen Theorien zur Dramaturgie. Seit 1986 konnte er Theatererfahrung als Dramaturg, Regisseur und Schauspieler bei mehreren Amateurtheatern sammeln. 1997 wurde er Ensemblemitglied des Thalia Theaters Korschenbroich. Durch die Theaterarbeit ergab sich eine Konzentration auf die dramatische Form. In der Spielzeit 2003/2004 nahm er an einem Dramaturgieprojekt des Schauspielhauses Düsseldorf teil.

Bibliografie

1987
Kurzgeschichte "Verwandlung" in "Anthologie ohne Titel", Anrich Verlag

1988
Kurzgeschichte "Verwandlung" in der Zeitschrift "SJ"

1996
Kurzgeschichte "Verwandlung" in der Anthologie "Kopfsprung", herausgegeben vom Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen

1990-1998
diverse Sketsche und Kabarettstücke, aufgeführt von den Theatergruppen "Burgtheater Wassenberg" und "Der Spielkreis", Geilenkirchen

2000
Kurzgeschichte „Die Ballade von Anne“ in der Anthologie „Ich sags, wie´s ist“, herausgegeben von den Städten und Gemeinden des Kreises Neuss und der Stadt Mönchengladbach

2003
Kriegsdrama „Menschen in SEDAH“

2006
Komödie „Großer Ärger mit kleinen Bäumen“

Leseprobe

Verwandlung

An einem heißen Julinachmittag stellt man auch mir die Frage. Es ist keine leichte Entscheidung, doch verspüre ich keine Lust, auf andere Soldaten zu schießen, deren grüne Uniform zufällig ein paar braune Flecken hat und die aus diesem Grund "Feind" genannt werden. Von Verantwortung spricht der Herr in grauem, unauffälligem Zivil, von Ehre, Pflicht und von Stolz. Es herrscht Krieg. Einige hassen den Krieg. Später. Ein Leutnant und ein Hauptgefreiter begleiten mich hinaus in den Hof. Es ist dort noch heißer als in dem Gebäude, genauso heiß, wie es damals war, als wir als Kinder im Wald eine Hütte aus Holz bauen wollten. Mein Bruder war auch dabei, war sowieso immer mit mir zusammen. Wir waren grundverschieden und dennoch unzertrennlich. Schon als kleines Kind war er immer voll Pflichtgefühl und Verantwortung, während ich meist genau das tat, was mir Spaß machte. Meine Mutter sagte ihm stets, er solle auf mich aufpassen, doch irgendwie hatte ich immer das Gefühl, auf ihn aufpassen zu müssen. Um die Hütte bauen zu können, fällten wir einige junge Bäume. Von den Geräuschen unserer Axt angelockt kam ein Förster, der, als er uns sah, gleich losbrüllte: "Hab ich euch, ihr Saubande! Bleibt ja stehen, ich kenne euch!" Und als wir dennoch weglaufen wollten, schrie er: "Stehen bleiben, oder ich lasse den Hund los!" Natürlich hätte er es nicht gemacht, er wollte uns bloß verscheuchen. Außerdem kannte er unsere Eltern ziemlich gut. Aber mein Bruder blieb stehen. Ohne nachzudenken tat er immer genau das, was man von ihm verlangte. Was blieb mir weiter übrig, als auch stehen zu bleiben? Ich konnte ihn doch nicht im Stich lassen. Zwölf oder dreizehn Jahre war ich damals alt, jetzt bin ich gerade zehn Jahre älter. Der Leutnant gibt mir eine Zigarette. Ich rauche ziemlich hastig, nehme tiefe Züge, und nach einer Weile bin ich ein wenig berauscht. Mir kommt meine erste Zigarette in den Sinn. Mein Bruder und ich versteckten uns hinter einem Schuppen in der Nachbarschaft (die Zigaretten hatte ich meinem Vater aus der Tasche genommen - mein Bruder hätte so etwas nie getan) und begannen, eine nach der anderen zu paffen. Uns wurde so schlecht, dass wir uns schworen, es nie wieder zu tun. Mein Bruder hat auch niemals wieder eine Zigarette angefasst, nur ich, den alle charakterlos nannten, ohne Ehrgefühl, konnte das Rauchen nie lassen. Meine Gedanken kehren zur Gegenwart zurück. Mir fallen die sorgfältig gewaschenen und gebügelten Uniformen der beiden auf. Besonders der Hauptgefreite trägt eine Uniform, die so pedantisch sauber ist, dass man meinen kann, er spiele die Hauptrolle in einem Werbefilm für Pflegemittel. Die Stiefel blinken in der Sonne, die Hose schließt genau mit der Stiefelkante ab, und das Koppelschloss glänzt, als hätte er sein Leben lang daran poliert. Die Feldjacke gibt ihm ein verwegenes Aussehen. Sicherlich schwitzt er darunter. Aber er lässt sich nichts anmerken. Ich habe mir nie etwas aus Kleidung gemacht, habe sie einfach getragen. Mein Bruder war da anders. Er hatte die modischsten Sachen, obwohl er sich darin hin und wieder eingezwängt und eingeengt gefühlt haben muss, denn manchmal ruhte, ganz kurz nur, sein Blick auf mir, als wollte er sagen: "Ich will auch so sein wie du." Manchmal. Ausgesprochen hat er es nie. Auf welche Gedanken man kommt, wenn man so dasteht. An einer Mauer. Rauchend. In die Sonne starrt. Zwei Soldaten vor sich. Einen, der befiehlt und einen, der gehorcht. Der Hauptgefreite kommt auf mich zu, hat eine schwarze Binde in der Hand. "Blinde Kuh, wir führen dich..." höre ich wieder meinen Bruder sagen, denke zurück und sehe ihn vor mir, wie er mir einen Schal um die Augen legt. Ich weiß, ich liebe ihn. Immer habe ich versucht, ihm aus seiner Haut herauszuhelfen - ich spürte, dass er das wollte - doch er ließ es nie zu. Ich will die Binde nicht. Den Blick von meiner Zigarette wegzwingend, die sich unnachgiebig verkürzt, betrachte ich den Hauptgefreiten genauer. Nicht einen Kratzer kann ich an seinem Helm ausmachen. Er ist genauso makellos wie der ganze Soldat. Da macht selbst sein Gesicht keine Ausnahme. Auch hier: Extreme Sauberkeit, eine unnatürliche, fast künstliche Reinheit. Es ist ein schönes Gesicht, vertrauenerweckend, aufrichtig, ebenmäßig, und ohne dass es besonders auffällt, umspielt ein Lächeln seinen Mund. Vollkommen, bin ich zu sagen versucht. Und dennoch - etwas fehlt darin: Nicht das Gesicht eines Menschen sehe ich vor mir, viel eher ist es ein Bild, eine Büste oder eine Statue. Flüchtig besehen wirkt er dadurch wie ein freundlicher, junger Mann. Einen winzigen Fehler hat seine Freundlichkeit jedoch und wird dadurch Lügen gestraft: Er richtet nämlich gerade sein Gewehr auf mich (überflüssig zu sagen, dass es aufs Säuberlichste geputzt und eingeölt ist). Die Zigarette ist aufgeraucht. Ich ziehe noch einmal daran und lasse sie fallen. Da gibt der Offizier den Befehl und er schießt auf mich. Bevor er schießt, kann ich ihm in die Augen sehen. Sie sind tief, blau und freundlich. Eine Sekunde glaube ich darin einen Anflug von Mitleid zu sehen; dann verwandeln sie sich: Das linke schließt und das rechte verengt sich. Wie die Motte, die mein Bruder und ich einmal beobachtet hatten. Sie ließ sich auf einem dunklen, blaugrünen Ast nieder - ihre Konturen waren deutlich zu erkennen. Allmählich jedoch veränderte sich ihre Körperfarbe von einem hellen Ockerton bis hin zu der Farbe des Astes, die sie nach einer Weile exakt kopierte. Wir wussten genau, wo sie saß, sonst wären wir unfähig gewesen, sie wiederzufinden. Mit ihrem ganzen Körper hatte sie sich dem Untergrund angepasst; mehr noch: Ihre Konturen zerflossen, wurden eins mit ihrer Umgebung, genau wie Soldat und Gewehr. Kolben, Schulter, Abzug und Zeigefinger, Kimme, Korn und Auge - all das gehört zusammen, ist als Einheit untrennbar miteinander verbunden. Und als ich das Mündungsfeuer sehe, als es eins wird mit dem Sonnenlicht, verschmilzt mit der schwülen Hitze des Tages, als das Geschoss meinen Kopf trifft, da habe ich Mitleid mit dem Schützen. Ich bin sicher, er weiß es, und so kann ich mit einem Lächeln sterben, einem Lächeln, das nur er deuten kann, mein Bruder.